Auf dem Weg nach Léogâne.
Sechs Uhr. Die
Sonne geht auf und wir sitzen im Auto. Die Strassen voll. Wir sind auf dem Weg
nach Léogâne. In Léogâne war das Epizentrum des Bebens und hier stand wirklich
gar nichts mehr.
Wir fahren dort knapp 1,5 Std. hin. Das gibt mir Zeit ein
wenig mehr von Port au Prince und den ganzen Stadteilen zu sehen. Es ist
wirklich erschütternd. Ich weiß nicht ob man sich die Bilder vorstellen kann,
wenn man nicht, wie ich gerade, genau dran vorbei fährt.
Als ich damals das Projekt für CARE Haiti ins Leben gerufen
hatte, so erinnere ich mich, das ich die Bilder in den Nachrichten als abstrakt
empfand, das ich mir das Ausmaß dessen nicht wirklich vorstellen oder aufnehmen
konnte. Das sich etwas innerlich vor all dem schützen wollte. Das ändert sich
sobald man an den eingestürzten Häusern vorbei fährt. Den Schutthäusern, dem
Nichts. An den Menschen die mitten im Dreck und neben Bergen von Abfall ihre
Mangos auf dem Boden verkaufen. Das ändert sich, wenn man die Camps sieht und
den Schmutz und die Menschen die ums Überleben kämpfen. Mein europäisches Auge,
versucht eine Ordnung zu begreifen, ein System im Chaos zu erkennen. Aber es
gibt keines für mich. Es IST Chaos.
Ein erster Besuch in
der Schule.
Die Schulen sind für mich ganz besonders spannend zu sehen,
weil wir damals entschlossen hatten, den Erlös
des Hörbuchs in das Bildungsprojekt von CARE Haiti zu geben.
Man spricht bei NGO’S immer von Projekten. Kurz erklärt:
Also es gibt Hygiene Programme/Projekte, Wasser Projekte, Bildungsprojekte,
Gesundheitsprojekte, Bauprojekte und vieles mehr.
CARE hat hier in Léogâne wirklich schon viel geleistet und
egal wo wir hinkommen, die Menschen sind von tiefer Dankbarkeit. Es ist alles
sehr berührend. In der ersten Schule ‚Pyramide’ werden wir mit einem warmen
Ständchen empfangen. 11 Jungs und 12 Mädchen halten sich an den Händen und
singen. Ich habe den Eindruck sie sind genauso aufgeregt wie ich, über diesen
Besuch. Die haben den Morgen schon auf uns gewartet. Besuch ist hier immer was
ganz besonderes! Wie ich später raus finde, singen hier alle immer gerne und
egal wo wir hinkommen– gesungen wurde immer.
CARE/Evelyn Hockstein |
Egal wen ich gefragt habe: Sie lieben Schule. Sie sind stolz
zur Schule zu gehen. Sie sind glücklich, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.
Ungefähr 40% der Haitianer sind Analphabeten und viele können sich überhaupt
keine Bildung leisten.
Später unterhalte ich mich noch alleine mit ein paar
Schülern. Ich frage Sie ein bisschen zu ihrem Leben und nach einer Weile wird
es immer einfacher. Ich habe heute noch Berührungsangst. Was darf ich fragen?
Wie gehe ich mit Ihnen um? Dann ist es auch immer schwierig, weil ich kaum
Französisch spreche und die Kinder nur Creole. Heißt also: Ich stelle die Frage
auf Deutsch, sie wird von Frederic Haupert – CARE Mitarbeiter aus Luxemburg ins
Französische übersetzt und dann weiter ins Creole... Aber irgendwie geht das
alles.
Sie wollen später mal Pilot werden, Krankenschwester oder
Anwältin. Sie wollen alle gut in der Schule sein, machen alle ihre Hausaufgaben
und erzählen mir von ihren Schulwegen. Ein Mädchen geht morgens um 5.30 Uhr zu
Hause los, zwei Stunden zu
Fuß und erreicht um 7.30 Uhr die
Schule. Kann man sich das wirklich vorstellen? Und wir reden hier nicht von
schönen und ungefährlichen Strassen. Sie erzählen das sie immer noch große
Angst haben das ein neues Beben kommen wird, das sie Angst in Räumen haben mit
Dächern. Sie denken, sagen sie, jeden Tag an das Beben. Viele Kinder sind sehr
traumatisiert, eingeschüchtert und in sich gekehrt. Eins der Mädchen sagt mir,
das ihr Bruder gestorben ist beim Erdbeben. Das einzige was mir in meiner Hilflosigkeit einfällt, ist
ihr zusagen wie sehr es mir leid tut.
CARE/Evelyn Hockstein |
Latrinen und
Waschplätze: Nicht sexy ABER wichtig!
Ich sehe aber noch was Spannendes. Unter anderem in den
beiden Schulen gab es vorher keine Toiletten und Waschräume. Das ganze gehört
zum großen Projekt - WASH. Das steht für Water, Sanitation and Hygiene. Es gab
ein Loch im Boden und da haben alle reingemacht. Das Loch war offen und es gab
keine Wände. Im Übrigen lagen die ‚Toilettenlöcher’ direkt vor den Klassenräumen.
CARE hat Latrinen und Waschplätze gebaut und Nathalie und Eususe Mitarbeiterin
von CARE, machen mit den Kindern die hygienische Aufklärung in den Schulen. Das heißt, dass sie den
Kids erklären, das man nach dem Toilettengang sein Hände mit Seife wäscht. Wie
man generell mit Seife umgeht. Die Kinder hier kennen das wirklich nicht. Hier gibt es wenig Wasser, weil es kaum
Brunnen bisher gab, das heißt eine Familie hat sehr wenig Wasser zu Verfügung
gehabt und da bleibt sicher nichts für das Hände waschen übrig. So entstehen
auch Cholera und andere Krankheiten, die hier nach wie vor sehr verbreitet
sind. Das ändert sich nach und nach. Die Kinder lernen es und bringen dieses
Wissen nach Hause und fordern von Ihren Eltern ein, das sie auch dort Seife haben
und sauberes Wasser. Die Bildung und Aufklärung läuft also über die Kinder. Die
Schule ist sehr stolz über diese Entwicklung. Man hilft den Leuten ja letztlich nur, wenn sie lernen sich
selbst zu helfen.
Die neuen Latrinen in der Schule - CARE/Evelyn Hockstein |
Die Kinder an ihrem Waschplatz - CARE/Evelyn Hockstein |
Die Kinder an ihrem Waschplatz - CARE/Evelyn Hockstein |
CARE/Evelyn Hockstein |
CARE/Evelyn Hockstein |
Die Wasserversorgung
in Léogâne
In Léogâne haben bis vor kurzem fast alle Familien ohne
fließendes Wasser gelebt. Der nächste Brunnen oft mehrere Stunden Fußmarsch
entfernt. Obwohl in Haiti viel Grundwasser besteht und das nicht mal tief im
Boden liegt, gab es keine Möglichkeiten für die Leute. Weder das Wissen, noch
das Werkzeug.
Die Mitarbeiterin von CARE, Melora zeigt und die
‚Wasserprojekte’ (WASH Programmes) die sie in der Region zahlreich ins Leben
gerufen haben. Es wurden Brunnen gebaut, die nun mehr als 500 Familien
permanent mit Wasser versorgen. Während wir uns, die Brunnen, Latrinen und
Waschplätze anschauen, treffen wir auf eine Gruppe Frauen, die sich hier im Ort
um die Aufklärung in kleinen Gruppen treffen und unter einander darum kümmern.
Das ist hier eine große Sache und CARE hat mit den Frauen aus der den Gemeinden
in Léogâne Clubs gegründet. Hier haben sich Gemeinden gebildet von Müttern, die
hier von der Vorsitzenden der „Mutterclubs“ in wöchentlichen Treffen informiert
werden, über Hygiene Maßnahmen. Auch kleine Hygiene Kits werden verteilt. Ein
Ort, wo die Mütter sich austauschen können. Klingt vielleicht nicht nach einer
großen Sache für uns - ist es hier aber schon!
Die CARE Mitarbeiter in den „Frauen und Mütterclubs“ sind
Haitianerinnen, also Landsleute die in ihrer Kultur tief verwurzelt sind und
die auch ihre Problematiken kennen. Ich habe den Eindruck, dass es dadurch ein
Erfolgsversprechendes Model ist die Menschen in Gruppen zur Selbsthilfe
anzuleiten.
Die Kinder und Frauen waschen sich am Brunnen - CARE/Evelyn Hockstein |
Eine Mutter erklärt ihrer Tochter wie sie sich richtig die Hände wäscht. CARE/Evelyn Hockstein |
Die Kinder lieben ihren neuen Brunnen - CARE/Evelyn Hockstein |
Mutterclubs
Die ganzen ‚Clubs’ die sich hier organisch mit CARE’s Hilfe
gebildet haben, bestechen dadurch, dass es die Menschen hier wieder
selbstständig macht, dass sie sich selber informieren können und ihr Wissen
auch weitergeben. Eususe – Mitarbeiterin von CARE ist mit uns hier und erklärt
uns die verschiedenen Aktivitäten der Clubs.
Rund 40 Mütter und Frauen in der Gemeinde, treffen sich
einmal in der Woche und lernen, wie sie sich am besten versorgen können und wie
sie sich und Ihre Kinder schützen können. Hier werden, wie schon erwähnt,
Hygiene Maßnahmen erklärt, Kits verteilt, aber auch Aqua Tap um das Wasser zu
reinigen.
Nicht das Männer nicht eingeladen wären, es ist bloß so,
sagt eine Frau lachend, das die Männer sich nicht so sehr dafür interessieren
zu scheinen. Pro Familie wurde eine Latrine gebaut.
Glücklicherweise haben diese ganzen Clubs dazu geführt, dass
es zu fast keinen Cholera Fällen in der Region Léogâne kam. Das ist wirklich
ein großer Erfolg, wenn man bedenkt, dass vor der Gründung dieser ganzen WASH
Programme die Menschen mit demselben Wasser gekocht und gewaschen haben.
Autofahrten und die
Musik
Ich sitze vorne neben Khassim unserem Fahrer. Wir verstehen
uns ohne große Worte. Mein Französisch ist ziemlich armselig und sein Englisch
leider auch. Das heißt wir reden
mit Händen und Füssen. Ein bisschen Creole, ein bisschen Französisch und ein
bisschen Englisch. Aber irgendwie geht es.
Khassim hört Radio und glaubt mir, ich würde was um diese
Radiosender geben in Deutschland. Hier läuft keine dämliche Werbung und kein
anderer Blödsinn im Radio – nein hier läuft einzig und allein Musik!
Wir mögen dieselbe Musik und so erzählt er mir von den
verschiedenen Musikstilen. Rara, Voodoo Musik, Reggea, Ragga Muffin und viele
andere Musikzweige, die ich mir nicht alle merken konnte. Die Haitianer sind
sehr stolz auf ihre Kultur. Musik ist eine universelle Sprache. Immer wieder
wird ‚Haiti’ gesungen. Khassim erklärt mir, wovon gerade gesprochen wird und es
scheint, als haben die Haitianer in der Musik die Möglichkeit zu verarbeiten,
zu verstehen. Die Musik erzählt von den Armen, vom Volk. Sie ist die Stimme des
Volkes. Sie ist reich und sie erzählt Geschichten. Die Haitianer tanzen viel,
sagt Khassim und man hat die Möglichkeit ein bisschen ‚zu verschwinden’ aus dem
Alltag.